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BR Logo und Schriftzug Soft Power
Bild: BR/Henrik Ullmann

Hallo zusammen,

vielleicht hat Euch die Betreffzeile bereits stutzig gemacht: Aus dem Kultur-Newsletter wird Soft Power! Ich, Quentin Lichtblau, werde hier weiterhin über Kultur schreiben, allerdings aus einem anderen Blickwinkel als bisher. Ich freue mich außerdem, dass alle paar Wochen die Kulturjournalistin und Literally-Host Miriam Fendt diesen Newsletter übernimmt.

Was soll das hier also werden? Bisher war dieser Newsletter eine Art persönlicher Empfehlungs-Service, ein Kanal, auf dem Ihr Film-, Radio- und Lesetipps bekommen habt. Die wird es weiterhin geben, allerdings erst am Ende und deutlich knapper als bisher. Der größere Teil des Newsletters soll künftig ein eigenständiger Text sein: irgendwo zwischen Kultur, Politik und Pop-Essay, ein bisschen das, was früher wohl ein Blog gewesen wäre.

Gut, aber warum heißt das alles nun "Soft Power"? Unter dem Begriff versteht man im Geopolitik-Sprech alles, was an einer Nation nicht "Hard Power" ist: also nicht Armeen, Ressourcen und Industriegüter, sondern etwa Traditionen oder Künstler, die einem Land jene "sanfte Macht" in Form von kulturellem Einfluss verleihen. Eine Figur wie Taylor Swift ließe sich zum Beispiel als Element der US-amerikanischen Soft Power verstehen, dem etwa China - zumindest bisher - wenig entgegenzusetzen hat. Dieses Verständnis von Kultur als reinem Machtmittel ist natürlich ziemlich zynisch, wir wollen den Begriff “Soft Power” deswegen eher spielerisch aufgreifen.

Die Softness im Namen passt auch gut zu unserer Idee, einen Gegenentwurf zum Clickbait- und Kulturkampf-Lärm hinzubekommen, der uns umgibt: Einmal die Woche, etwas länger, suchender, ohne Bulletpoints, Listicals und Suchmaschinenoptimierung. Als Mail in Euren Postfächern, was uns unabhängig von den Launen der Plattformen macht. Wir wollen uns nicht unbedingt den breaking news widmen, sondern den Strömungen darunter. Ich will nicht zu viel verraten, aber mögliche Fragen, die sich dieser Newsletter stellen wird, könnten folgende sein: Hat aufgenommene Musik noch einen Wert? Warum wirft sich in der Kultur niemand mehr "Sell Out" vor? Welche Sehnsucht liegt hinter dem Phänomen, dass junge Menschen sich wieder Digitalkameras und MP3-Player kaufen? 

Vielleicht steckt in unserem Newsletter auch ein bisschen eigene Sehnsucht, und zwar nach dem guten alten Internet, also der Zeit vor der Omnipräsenz von Social Media, in der man anstatt Video-Snippets anzuschauen noch ellenlange Texte aus seinem RSS-Feed las oder seinen Tumblr-Feed mit Analogfotos kuratierte. Was mir hierzu aufgefallen ist: Meine Generation, also die Millenials, ist die erste, deren Nostalgie sich nicht nur auf eine Zeit vor dem Internet bezieht.

Ich zum Beispiel will nicht in einer Höhle im Wald leben, aber das Internet zwischen 2005-2010 hätte ich schon gern zurück. Sicher gab es dort schon damals dunkle Ecken und die Silicon-Valley-Milliardäre waren auch nicht viel netter als heute. Aber Social Media war nur in groben Anfängen vorhanden und noch nicht alltagsbestimmend. Smartphones hatten die wenigsten, digitales und reales Leben griffen oft auf eine gute Art ineinander, auch und gerade in der Kultur. Man lernte sich in irgendeinem nischigen Forum kennen, war vereint in seiner Nerdiness, aber versank nicht darin. Bands konnten sich aus ihrer Garage heraus selbst vermarkten und halbwegs davon leben, den kleinen Labels ging es noch gut, Spotify und die Kriegstechnik-Investments von dessen Gründer waren noch in weiter Ferne. Und meine erste Erfahrung mit Twitter bestand nicht aus Shitstorms und rechten Trollen, sondern einer Vernetzung europäischer Uni-Aktivisten, die gemeinsam gegen die Studiengebühren protestierten.

Hach, Ihr merkt es vielleicht: Auch ich neige mit Mitte 30 bereits zur Verklärung meiner Jugend, wovor man sich natürlich hüten sollte. Ich will das Rad der Zeit auch nicht zurückdrehen, aber einen Teil meines Fortschrittsglauben habe ich in puncto Technologie tatsächlich verloren. Dass eine Art digitaler Weltgeist uns immer neue, tolle Produkte und Plattformen serviert, die unser Leben kontinuierlich verbessern, glaube ich spätestens seit dem bislang ziemlich hohlen KI-Hype nicht mehr. Das Netz ist geflutet von KI-Slop, Bots und Brainrot. Und gerade wenn man sich an das bessere Internet erinnert, kann man vielleicht auch feststellen, wer es wann kaputtgemacht hat. Zu meiner Verteidigung würde ich meine Altes-Internet-Sehnsucht also eher als historische Analyse auslegen. Ich hoffe, Ihr geht da mit!

Long story short, um nun doch wieder auf unseren kleinen Newsletter zurückzukommen: Wir wollen ein bisschen was von der entspannteren Internet-Ära wiederbeleben, ohne in die Nostalgiefalle zu tappen. Wir wollen uns in Details verlieren, manchmal auch den Faden, extrem rumnerden und am Ende trotzdem etwas Leserliches zustande bringen. Und, damit dabei auch so etwas wie eine Community entsteht: Wir freuen uns sehr, wenn Ihr dabei seid und Euch selbst zu Wort meldet!


Und jetzt, bevor ich es vergesse, zu den Empfehlungen für diese Woche:

Ich mag einfache Fragen. Sehr gefallen hat mir deshalb dieser Podcast vom Deutschlandfunk, der sich der Frage widmet, wann und warum uns die Zeit manchmal langsamer oder schneller vorkommt – etwa bei einem Verkehrsunfall. Die Antworten kommen von den unterschiedlichsten Seiten, von Einstein bis "Zauberberg" – und zack landet man bei der (überhaupt nicht einfachen) Frage, ob es Zeit überhaupt gibt.

Für das Wochenende habe ich mir vorgenommen, mir das neue Dokudrama zu den Nürnberger Prozessen anzuschauen.  "Nürnberg 45 - im Angesicht des Bösen" konzentriert sich (verwirrenderweise entgegen des Titels?) nicht auf Psychogramme der Täter, sondern auf die Menschen im Gerichtssaal, die gerade erst den Konzentrationslagern entkommen waren. Das klingt nach einem lohnenswerten Blickwinkel. Ich bin immer etwas skeptisch, wenn sich Schauspieler-Dialoge und tatsächliche Dokumentation abwechseln, ich hoffe, das klappt hier.

Und noch ein Musiktipp, weil er hier gerade läuft, während ich diese Zeilen schreibe: Das Album "Rhythm Archives" von Al Wootton. Ich bin ein großer Fan von knarzigen Drum-Maschinen. Wootton, eigentlich bekannt für präzisen UK-Techno, durfte sich im Melbourne Electronic Sound Studio an dessen Vintagemaschinen-Sammlung austoben. Das Ergebnis klingt sehr nach Post-Punk, Hall und Staub – perfekt!

Bis nächste Woche!

Und eins noch: Wenn Ihr uns per Link empfehlen wollt, oder uns selbst noch nicht abonniert habt, dann hier entlang!




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